Arghiri Emmanuel hat mich seinerzeit beschäftigt als ich meine Diplomarbeit im letzten Jahrtausend geschrieben habe, da sich viele Dependenztheoretiker (*in fand ich damals leider keine*) auf ihn beziehen. Sowohl positiv als auch negativ. Ich bin seinerzeit zur Schlussfolgerung gekommen, dass seine Theorie nicht haltbar ist und uns nur in die Irre führen kann.
Wie sehe ich das heute, nachdem ich das Thema lange beiseite gelegt habe. Der Versuch die These der komparativen Kostenvorteile von David Ricardo in den Kanon der marxistischen politischen Ökonomie einzubauen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt, da Emmanuel Löhne (im Sinne der marx’schen Arbeitswertlehre) einseitig als Folge der Notwendigkeiten der Reproduktion der Arbeitskraft definiert, was dazu führen müsse, dass die Löhne bei vollständiger Konkurrenz weltweit gleich hoch sein müssten.
In Anbetracht der Globalisierung, die die weltweite Konkurrenz noch massiv weiter verschärft hat, ohne auch nur die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft anzugleichen, wird zunehmend offensichtlich, dass diese These nicht haltbar ist. Andererseits sind gerade die Arbeitsmärkte nach wie vor mehr oder weniger national abgeschottet, was den Ausgleich der Löhne verhindert. Sehen wir uns doch nur die nach wie vor massiven Lohnunterschiede in der EU an, in der es angeblich die freie Bewegung der Arbeitskraft gibt.
Den gegenteiligen Fehler, die Lohnhöhe fast ausschließlich als Folge der Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen – also z.B. von Klassenkämpfen und gewerkschaftlichem Organisationsgrad – zu begreifen, machen übrigens zahlreiche seiner Kritiker*innen, was oft dazu führt, dass diese Teile der Arbeiter*innenklasse (die sog. Arbeiter*innenaristokratie) in den imperialistischen Ländern – den Zentren – zu Ausbeuter*innen erklären, welche vom Kapital mit den Extraprofiten, die sich aus der Überausbeutung der Peripherie = ungleiche Länder ergeben, gekauft werden.
Auch der Autor dieses Artikels ist nicht frei davon, dieses soziale oder auch kulturelle Element des Lohns überzubewerten. Tatsächlich hat schon Marx beide Elemente als wesentlich für die Lohnhöhe in einem bestimmten Land erkannt, weil die Ware Arbeitskraft eben eine ganz besondere ist, die andere Eigenschaften hat als alle anderen (S. 53). Sie kann neuen Wert schaffen. Und zwar mehr als zu ihrer Reproduktion erforderlich ist. Ohne diese Eigenschaft gäbe es keinen Mehrwert und folglich keinen Profit. Oder wie die Bürgerlichen sagen würden keinen Gewinn.
Ich kann also vorwegnehmen, dass sich auch durch diesen mir neuen Text nichts an meiner ursprünglichen Einschätzung geändert hat.
Im Sinne Bettelheims kritisiert der Autor richtig, dass Ausbeutungsverhältnisse zwischen Klassen entstehen und nicht zwischen Nationen. Abgesehen davon ist die Rate der Ausbeutung (der Mehrwert oder der Anteil der Leistung der Arbeitskraft, die sich das Kapital aneignet) in den hoch entwickelten Volkswirtschaften weit höher. (S. 57)
In der Folge erläutert er die Ursachen der Unterentwicklung und unterschiedlicher Lohnniveaus korrekt im Sinne der marxistischen politischen Ökonomie. Allerdings begeht er dann den Kardinalfehler von Ökonom*innen seiner Zeit und versucht diverse Formen der in der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre damals überaus beliebten Terms of Trade in marxistische Konzepte zu integrieren. Auch ohne diese eher langweiligen Seiten hätte die Kritik an Emmanuels Theorie nichts von ihrer Wirkmächtigkeit eingebüßt.
Gerade auch der Hinweis, dass ein solcher Zugang Theorien, die „neue revolutionäre Subjekte“ in den unterentwickelten Ländern oder sozialen Gruppen, die neben der Ausbeutung durch das Kapital noch besondere Formen sozialer Unterdrückung erleiden, zu entdecken vermeinen, Tür und Tor öffnet, sollte uns wachsam sein lassen. Auch weil es eigentlich ganz einfach ist.
Wer unter Rassismus oder Sexismus leider oder in einer peripheren Volkswirtschaft arbeitet ist im Regelfall ebenfalls Angehörige*r der Arbeiter*innenklasse. Soziale Unterdrückung und ökonomische Ausbeutung gehen im Kapitalismus Hand in Hand. Dieser kann ergo nur von der (internationalen) Arbeiter*innenklasse, welche beides in verschiedenen Kombinationen erleidet, überwunden werden.
Nachbemerkung: Vor dem Leben von Arghiri Emmanuel ziehe ich den Hut. Er hat im griechischen Widerstand gegen die Nazis gekämpft, dann mit vielen anderen gleich den Kampf für die Überwindung des Kapitalismus aufgenommen, hatte Glück, da er nicht zu jenen gehörte, die von britischen und US-Bombern massakriert wurden, und gleichzeitig Pech, da er gleich darauf zum Tode verurteilt wurde. Im letzten Moment begnadigt, verbrachte er dann viele Jahre im Kongo und schließlich im Pariser Exil.
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