Wofür wir stehen

Hainfeld ins Heute bringen: Prinzipienerklärung der Sozialdemokrat*innen und Gewerkschafter*innen gegen Notstandspolitik

Mit dem Hainfelder Programm von 1888/1889 wurde für Österreich definiert, was Sozialdemokratie bedeutet. Dieses ist quasi die Genetik der österreichischen Sozialdemodemokratie, die ihrerseits das Kommunistische Manifest für das damalige Österreich konkretisiert. Da sich an den grundsätzlichen Klassenverhältnissen bis heute nichts geändert hat, kann jede Abweichung von den Prinzipien, die darin verankert wurden, so wie das eben ist, wenn an der Genetik herumgepfuscht wird, nur dazu führen, dass von den Grundsätzen der Sozialdemokratie als Ideologie und Theorie abgewichen wird.

Zentral für das Hainfelder Programm ist, dass dieses keinen Widerspruch zwischen Reform (nicht zu verwechseln mit Reformismus) und Revolution erkennt, sondern den Kampf für Verbesserungen immer mit dem Kampf für die Überwindung des Kapitalismus verbindet und als Vorbereitung für diese sieht.

Nach wie vor sind wir als Arbeiter*innenklasse (das sind alle, die arbeiten müssen, mussten oder werden müssen, um leben zu können) durch eine Vielzahl an Unterdrückungsformen und insbes. die ökonomische Ausbeutung, aber auch die bürgerliche Staatsmacht dazu gezwungen, unter dem Diktat der herrschenden Klasse bzw. des Kapitals zu leben. Seit langer Zeit bedeutet das für viele eine permanente Verschlechterung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen.

Sozialdemokratie bedeutet daher bedingungslos auf Seiten der Arbeiter*innenklasse zu stehen, gemeinsam mit dieser zu kämpfen und sich ebenso bedingungslos gegen die Interessen anderer Klassen zu stellen. Die endgültige Befreiung unsere Klasse ist im Kapitalismus unmöglich und erfordert daher den Sturz dieses Gesellschaftssystems, welcher nur erfolgen kann, wenn wir alle Formen der Spaltung und damit Schwächung unserer Klasse bekämpfen: Rassismus, Sexismus, Homophobie, Nationalismus, Religion, Nationalstaat und viele mehr.

Wie schon zum Zeitpunkt der Gründung der Sozialdemokratie als Partei ist die Ursache der systematischen Benachteiligung unserer Klasse nicht bei diesem oder jenem Wahlergebnis, dieser oder jener Herrschaftsstruktur und auch nicht alleine den ökonomischen Besitzverhältnissen zu suchen, sondern in der gesamten Gesellschaftsordnung, in der wir leben müssen. Ein Teil dieser Ordnung bedingt den anderen. Sie können also nicht getrennt überwunden oder auch nur reformiert werden, sondern nur in ihrer Gesamtheit. Es braucht eine vollkommen neue Gesellschaftsform, eine vollkommen andere Welt. Wie seit der Entstehung des Kapitalismus ist es der (Klassen)Staat, in dem die politische und ökonomische Herrschaft des Kapitals ihren Ausdruck findet.

Allerdings gibt es drei zentrale Unterschiede zur damaligen Zeit:

1. Die Arbeiter*innenklasse ist heute weitaus größer und folglich objektiv auch mächtiger als damals. Nicht nur in Österreich, sondern weltweit!

2. Die wirtschaftlichen Möglichkeiten sind seither enorm angewachsen und würden es längst ermöglichen, dass alle weltweit in Würde ein sozial abgesichertes menschenwürdiges Leben führen können. Gleichzeitig hat das Kapital die nationalen Grenzen längst überschritten, was dem Staat selbst seine Existenzgrundlage entzieht. Das zeigt sich auch daran, dass die in Riesenkonzernen längst perfektionierte Planwirtschaft die Macht der meisten Staaten bei weitem überflügelt hat. Diese Entwicklung macht es deutlich einfacher, die ökonomische Herrschaft des Kapitals zu beenden, da diese Aufgabe nur international erfolgreich bewältigt kann und in einzelnen Ländern zum Scheitern verurteilt ist, wie die Geschichte tragisch bewiesen hat.

3. Gleichzeitig wurde das, was seinerzeit „geistige Verkümmerung“ genannt wurde, seither perfektioniert. Gerade unter dem Kampfbegriff Neoliberalismus wurde jede Form von Bildung der ökonomischen Verwertbarkeit untergeordnet, selbständiges Denken bewusst zunehmend verunmöglicht und jede Erkenntnis der Arbeiter*innenklasse verdrängt oder zumindest bürgerlich überformt, wozu jene bis heute ihren Beitrag leisten, die der Meinung sind, dass „das alte Zeug für heute nicht mehr taugt“.

Um diesen „unwürdigen Zustand“ zu überwinden, ist es daher notwendig, die Traditionen der Arbeiter*innenbewegung wieder verständlich und erlebbar zu machen. Wir führen daher unsere internen und externen Diskussionen grundsätzlich auf Basis der theoretischen und praktischen Erkenntnisse und Analysen der Arbeiter*innenbewegung als es für diese noch selbstverständlich war, dass der Kapitalismus überwunden werden muss. Sozialdemokratie ist Antikapitalismus!

Da der Aufbau einer neuen Gesellschaft innerhalb der Grenzen von Nationalstaaten zum Scheitern verurteilt ist, sind wir Internationalist*innen. Internationalismus schließt den Kampf gegen jede Form von Rassismus ebenso ein wie die Ablehnung von Einschränkungen der Migration. Internationalismus erfordert auch die Solidarität mit der Arbeiter*innenklasse überall auf der Welt, egal unter welchen Angriffen diese leidet.

Dazu gehört neben der bedingungslosen Ablehnung aller Kriege und deren Beendigung durch die Methoden des Klassenkampfes auch der Kampf für die Überwindung des Nationalstaates, der als Klassengefängnis einzig der Spaltung unserer Klasse dient und der Bourgeoisie die Möglichkeit bietet, uns gegeneinander auszuspielen. Dabei steht uns jede*r Arbeiter*in egal wo auf der Welt hundertmal näher als die Kapitalist*innen aus Österreich, mit denen wir nichts gemeinsam haben außer der Zufälligkeit des Geburtsortes.

Solidarität hat also keine Grenzen. Vor allem aber kennt Solidarität keine Grenzen! Wir müssen daher wieder erkennen, dass Sozialdemokratie nur im Rahmen einer internationalen Partei funktionieren kann, die jeden Nationalismus, auch wenn sich dieser Patriotismus, Sozialpartner*innenschaft oder Verantwortung für den Staat nennt, ablehnt.

Ohne die Gefahr autoritärer und faschistischer Tendenzen zu verkennen, dürfen wir gleichzeitig nicht den Fehler begehen, das herrschende politische System nicht überwinden zu wollen, nur weil dieses von rechts angegriffen wird. Sozialdemokratie erfordert also den bedingungslosen Kampf für echte Demokratie, welche durch das allgemeine Wahlrecht noch lange nicht erreicht ist. Dafür, dass die Menschen kollektiv selbst über alle Bereiche ihres Lebens bestimmen können!

Daraus folgt, dass Sozialdemokrat*innen – wie im Hainfelder Programm definiert – Parlamente (und sinngemäß alle anderen gewählten Vertretungskörper im bürgerlichen Staat) als moderne Form der bürgerlichen Klassenherrschaft verstehen und diese im Sinne Hainfelds und Victor Adlers dafür nutzen, Propaganda und Agitation für die Interessen unserer Klasse zu machen und diese für die Überwindung des Kapitalismus zu organisieren. Und für sonst nichts. Schon gar nicht für die Verwaltung des bürgerlichen Klassenstaates.

Parlamente taugen nicht zu gesellschaftlicher Veränderung, weshalb es die Aufgabe von Sozialdemokrat*innen ist, die Illusion zu zerstören, dass diese für echte Fortschritte taugen könnten. Solche sind letztlich immer die Folge von Klassenkämpfen und werden bestenfalls in Parlamenten abgenickt, wenn das Kapital keinen anderen Ausweg mehr hat, so wie z.B. die vielen Reformen nach dem Ersten Weltkrieg, welchen die Bürgerlichen aus Angst vor dem greifbaren Sturz des Kapitalismus zustimmen mussten.

Zentral dafür sind die kollektive demokratische Kontrolle der Beschäftigten über ihre Betriebe und der Arbeiter*innenklasse über die Volkswirtschaft in ihrer Gesamtheit, welche die Voraussetzung dafür ist, die aktuelle Klassenherrschaft zu überwinden. Damit ist es bei weitem nicht getan. Wir müssen z.B. auch kollektiv bestimmen können, wie unsere Grätzel und der Verkehr gestaltet werden, statt diese Entscheidungen wie bisher Technokrat*innen im Interesse des Profits zu überlassen. Menschen statt Profite muss unsere Losung sein, woraus sich ableiten lässt, dass der Markt durch eine demokratisch geplante Wirtschaft ersetzt werden muss.

Diese grundsätzlichen Überlegungen zur Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus dürfen uns aber im Gegensatz zu Linksradikalen nicht davon ablenken, dass es einen alltäglichen Kampf für die Verbesserung unserer Arbeits- und Lebensbedingungen braucht. Von der längst überfälligen massiven Verkürzung der Arbeitszeit über die endliche Verbannung aller Religionen aus allen öffentlichen Einrichtungen und der schon immer erforderlichen Abschaffung von Militär und Rüstungsindustrie bis zu einem Steuersystem, das Kapitaleinkommen nicht länger weit geringer besteuert als Arbeitseinkommen und die ungerechtesten aller Steuern, die indirekten wie die Mehrwertsteuer, abschafft – es gibt viel zu tun.

All das wird nicht von selbst kommen. Wir müssen es erkämpfen. Sozialdemokratie muss also viel mehr sein als eine Partei, die nur bei Wahlen und in Parlamentssitzungen sichtbar ist. Sie muss soziale Bewegung sein, die gemeinsam mit der Arbeiter*innenklasse für ihre Interessen kämpft. Hier mag von manchen Kräften eingewendet werden, dass diese alltäglichen Kämpfe von der Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus ablenken. Das ist unserer Meinung nach grundfalsch. Erst durch die Erfahrung dieser alltäglichen Kämpfe kann jenes Klassenbewusstsein entstehen, dass eine neue Gesellschaft überhaupt erst wieder massenhaft denkmöglich macht. Und der Klasse jene Erfahrungen ermöglichen, die es braucht, um die alte Gesellschaft tatsächlich zu überwinden.

In Erwägung, dass das aktuelle System zumindest seit 1945 nicht mehr so tief in der Krise war und nicht mehr von so vielen abgelehnt wurde …

In Erwägung, dass das Überleben des Großteils der Menschheit infolge der Klimakatastrophe im wahrsten Sinne es Wortes auf dem Spiel steht …

In Erwägung der Tatsache, dass zahlreiche zivilisatorische Errungenschaften wie etwa das Recht auf Asyl jeden Tag mehr ausgehöhlt werden …

In Erwägung der Tatsache, dass der Verteilungskampf um Ressourcen und Märkte zu immer mehr Kriegen führt, unsere Ausbeutung verschärft, unsere Leben durch den Abbau unserer Sozial-, Gesundheits- und Bildungssysteme nicht nur verschlechtert, sondern das Leben vieler tatsächlich gefährdet …

In Erwägung der Tatsache, dass die bürgerliche Demokratie zunehmend zurückdrängt wird …

… kommen wir zur Schlussfolgerung, dass es so nicht weiter gehen kann. Wir treten daher für die Reideologisierung und Retheoretisierung der SPÖ und der Gewerkschaften entlang der Traditionen und Erfahrungen der internationalen Arbeiter*innenbewegung ein. Letztlich erfordert das die Resozialdemokratisierung der SPÖ und die Abkehr von allen bürgerlichen Verirrungen, die zu deren heutigem beklagenswerten Zustand geführt haben. Auch wenn diese Aufgabe groß erscheint, wissen wir doch aus unserer eigenen Geschichte, dass es möglich ist, sie zu bewältigen, wenn wir das tun, was für die Gründer*innen der als Partei organisierten Sozialdemokratie so alltäglich war wie der Sonnenaufgang am Ende der Nacht:

  • Wir sind die Partei der und für die Arbeiter*innenklasse!
  • Wir kämpfen mit der Arbeiter*innenklasse statt diese paternalistisch zu vertreten!
  • Wir sind Internationalist*innen!
  • Wir leben Solidarität ohne Wenn und Aber!
  • Wir kämpfen für echte Demokratie, die mehr ist als ein Kreuzerl alle paar Jahre und den Vielen die Möglichkeit gibt in allen Bereichen der Gesellschaft selbst über ihr Leben zu bestimmen.
  • Wir beantworten den Klassenkampf von oben mit dem von unten!
  • Unser Ziel ist die Überwindung des Kapitalismus und damit jeder Klassenherrschaft!