Fair Trade scheint ein vielsprechendes, pragmatisches Konzept um die Welt ein Stück ‚gerechter‘ zu machen: Konsument*innen können mittels der täglichen Kaufentscheidung unkompliziert dazu beitragen, Produzent*innen im Süden ein höheres Einkommen zu ermöglichen und dabei selbst von einem qualitativ hochwertigen Produkt profitieren.
Die Entwicklung des Fair Trade Netzwerks in den letzten 30 Jahren scheint dies zu bestätigen: Fair Trade Produkte können nicht mehr nur in alternativ angehauchten Geschäften gekauft werden, sondern finden sich im Sortiment jeder Supermarktkette; selbst große Unternehmen vertreiben eigene Fair Trade-Produktlinien. Das österreichische Parlament, wie das EU-Parlament, unterstützen Fair Trade, auch in der Weltbank wird fair gehandelter Kaffee getrunken. Umsätze dieser fair gehandelten Produkte sind in etablierten Märkten (USA, Westeuropa) konstant; in neuen Märkten (Osteuropa, Indien) stark steigend.
Dieser Professionalisierungs- und Kommerzialisierungstrend hat auch Kritik hervorgerufen: Die Etablierung im Mainstream habe die Ideale des Fairen Handels verwässert. Es brauche mehr Transparenz, Produzent*innen sollen mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten innerhalb des Netzwerks bekommen. Trotz dieser Kritik sind sich Wissenschafter*innen wie Aktivist*innen quer über das politische Spektrum grundsätzlich einig: Fair Trade Produkte zu kaufen ist immer noch besser, als sie nicht zu kaufen. Wenn Fair Trade die Welt auch nicht viel besser macht, macht sie sie zumindest nicht ’schlechter‘.
Genau diese These wird im Artikel kritisch hinterfragt. Was sind die impliziten theoretischen Grundlagen von Fair Trade? Was wird am bestehenden globalen Kapitalismus problematisiert? Wie präsentiert sich Fair Trade in der Öffentlichkeit? Steht dies im Widerspruch zur realen Praxis des Fair Trade Netzwerks?
„Ausbeutung [ist] ein Symptom und nicht die Ursache von Armut und Ungleichheit“
Rohstoff-Produzent*innen im Süden sind am Weltmarkt marginalisiert und bekommen für ihre Produkte nur geringe Preise. Fair Trade sieht die Gründe dafür in fehlendem Zugang zu Informationen; der Abhängigkeit von Zwischenhändler*innen und Kreditgeber*innen mit Monopolstellung; zu geringen Produktionsmengen; niedrigen Weltmarktpreisen durch Überangebot und staatlichen Interventionen der Industrieländer (zb. Zölle).
Die Strategie von Fair Trade, um Produzent*innen am Weltmarkt zu stärken, umfasst den Zusammenschluss in Kooperativen, die Ausschaltung des Zwischenhandels und die Vorausfinanzierungen durch Käufer*innen, sowie Lobby-Arbeit im Norden gegen staatliche Interventionen in die Wirtschaft. Weiters wird Produzent*innen ein Mindestpreis für ihre Produkte garantiert, der sich am durchschnittlichen Lohn des jeweiligen Produktionslandes orientiert – dies ist allerdings nur ein Sicherheitsmechanismus und sollte, sobald Fair Trade größere Marktanteile hat, abgeschafft werden, da es sich eigentlich um eine ‚marktverzerrende‘ Maßnahme handelt. Ermöglicht werden soll all dies durch die bewusste Kaufentscheidung von Konsument*innen im Norden.
Ein theorieloses Konzept?
Fair Trade präsentiert sich als pragmatisches Konzept, die theoretischen Hintergründe bleiben unausgesprochen. Es geht davon aus, dass (Frei-)Handel zu einem Wohlstandswachstum für alle Beteiligten führt, womit es in wirtschaftsliberaler Handelstheorie verortet werden kann. Diese Idealvorstellung blendet allerdings aus, dass damit bestehende Machtverhältnisse gefestigt werden – die ungleiche globale Arbeitsteilung wird festgeschrieben.
Manche (ärmeren) Länder sollen Rohstoffe produzieren, die in (reichere) Länder mit dem größeren Teil der Wertschöpfung industriell verarbeitet werden.
Fair Trade propagiert die neoklassische Vorstellung der Wirtschaft als einem Markt, der über den Angebots-Nachfrage Mechanismus automatisch zum Gleichgewicht tendiert und zur idealen Verteilung der knappen Ressourcen führt. Dazu müssen allerdings die Voraussetzungen eines ‚perfekten Markts‘ erfüllt sein, dazu zählt zum Beispiel gleicher Zugang zu Informationen oder eine Konkurrenzsituation zwischen den Marktteilnehmer*innen (keine Monopole). Für Fair Trade wäre Handel also dann ‚fair‘, wenn die Bedingungen eines ‚perfekten‘ Markts erfüllt sind.
Das neoklassische Modell der Wirtschaft hat allerdings wenig mit der Realität zu tun hat. Die kapitalistische Wirtschaft tendiert nicht zum Gleichgewicht, sondern ist krisenhaft und erzeugt Ungleichheit. Die Menschen treffen nur formell (und das auch nur, wenn sie nicht die falsche Staatsbürger*innenschaft haben …) als Gleiche am Markt aufeinander, verfügen aber notwendigerweise über ungleiche materielle Möglichkeiten. Die Vorstellung, globale Ungleichheit mittels genau der Strukturen, die Ungleichheit produzieren, zu überwinden, ist eine Illusion.
Mehr Fairness zwischen Süden und Norden?
Fair Trade spricht nicht von einer Überwindung des Kapitalismus, sondern will die Welt etwas ‚fairer‘ gestalten. Die Teilnahme am Fair Trade Netzwerk verschafft einer kleinen Anzahl an Produzent*innen im Süden Mehreinnahmen, sonst würden diese auch nicht daran teilnehmen.
Damit schafft Fair Trade aber neue Ungleichheiten: Die Konkurrenz zwischen zertifizierten Produzent*innen wird erhöht – besonders zum Nachteil von kleineren Kooperativen, die nicht die gewünschte Absatzmenge produzieren können. Die angeprangerte Abhängigkeit von Zwischenhändler*innen wird ersetzt durch eine neue Abhängigkeit vom zentralisierten Fair Trade Netzwerk.
Auch Firmen im Norden nehmen nicht aus Nächstenliebe an Fair Trade teil, sondern weil sie damit von Mehreinnahmen und einer Imageverbesserung profitieren. Die Strategie von Fair Trade beruht darauf, Firmen über öffentlichen Druck zu einem ethischeren Verhalten zu ‚zwingen‘.
Um an Fair Trade teilzunehmen, müssen Firmen allerdings nur geringfügige Mehrausgaben – den Mindestpreis für Rohstoffe sowie Lizenzgebühren an Fair Trade – in Kauf nehmen. Firmen können einen beliebig kleinen Anteil ihres Sortiments auf Fair Trade umstellen, Rechte ihrer eigenen Arbeiter*innen (weiterhin) missachten und Fair Trade Produkte mit höheren Aufschlägen verkaufen, ohne ein Risiko einzugehen. Die kapitalistische Logik der Profitmaximierung wird nicht angegriffen.
Individuelle Schuld statt gesellschaftliche Strukturen
Globale Ungleichheiten erscheinen so als Resultat individuellen Fehlverhaltens einzelner Marktteilnehmer*innen und nicht den kapitalistischen Strukturen inhärent. Gemäß neoliberaler Ideologie ist die Frage nach der Verteilung von Wohlstand nicht mehr Gegenstand einer politischen, öffentlichen Debatte, sondern wird ins Private bzw. hin zum Individuum verschoben und somit entpolitisiert.
Shopping can change the world?
Während Fair Trade innerhalb neoliberaler Ideologie verortet werden kann, ist das Kaufmotiv für fair gehandelte Produkte oft der Widerstand gegen neoliberale Politik. Die Wahrnehmung der Konsument*innen deckt sich also nicht mit der realen Praxis von Fair Trade.
Auf Fair Trade Verpackungen finden sich meist Bilder von glücklichen Kleinbäuer*innen mitsamt einer Erklärung, wie gut es ihnen durch Fair Trade geht. Damit wird eine Personalisierung kapitalistischer Austauschverhältnisse suggeriert, die scheinbar Imperative wie Konkurrenz und Profitmaximierung infrage stellt. Die Kritik verbleibt auf einer symbolischen Ebene, bietet aber trotzdem – oder gerade deswegen – ein ansprechendes Motiv zum Kauf.
Konsumverhalten ist nicht Resultat bewusster Entscheidungen, sondern Ausdruck sozialer und praktischer Erfahrungen und abhängig von der eigenen Klassenposition. Zielgruppe für Fair Trade Produkte ist eine privilegierte Schicht im Norden, die ihrer bürgerlichen Pflicht zur Wohltätigkeit nachkommen will. Ungleiche globale Konsummöglichkeiten werden damit grundsätzlich legitimiert, da der Bauer im Süden ein paar Cent mehr für den Kaffee bekommt.
Auch erfolgt eine Abgrenzung gegenüber armen Bevölkerungsgruppen im Norden. Armut wird als alleiniges Problem der Entwicklungsländer definiert, die zunehmende Prekarisierung weiter Teile der Bevölkerung im Norden bleibt ausgeblendet. Wer sich Fair Trade Produkte nicht leisten kann ist schlicht ein*e schlechter, ‚unethischer‘ Konsument*in.
Marketingstrategien im gegenwärtigen Kapitalismus vermitteln Konsument*innen scheinbare Handlungsmacht – real bleibt diese allerdings beschränkt auf die Auswahl fast gleicher Produkte in unterschiedlicher Verpackung. Auch Fair Trade kann dieser Entwicklung zugeordnet werden.
Menschen, die kritisch gegenüber neoliberalem Kapitalismus eingestellt sind, werden auf ihren Platz als Warenkonsument*in verwiesen. Gesellschaftlich emanzipatorisches Potenzial wird damit absorbiert. „… reconstruct society on such a basis that poverty will be impossible“ (vgl. https://www.youtube.com/watch?v=hpAMbpQ8J7g).
Konsum erfüllt im gegenwärtigen Kapitalismus zunehmend eine identitätsstiftende Funktion, darin kann auch der relative Erfolg von Fair Trade eingeordnet werden. Konsument*innen können scheinbar der Entfremdung kapitalistischer Produktion entgehen und ihre eigene privilegierte Position in der Klassengesellschaft legitimieren.
Es wird suggeriert, dass die Ursachen für globale Ungleichheiten aus falschem, individuellem Konsumverhalten resultieren, obwohl diese kapitalistischen Strukturen entspringen, in die wir alle – Produzent*innen im Süden wie Konsument*innen im Norden – eingebunden sind. Ziel ist also eine Re-Politisierung der Debatte um globale Ungleichheit, die kapitalistische Strukturen grundsätzlich hinterfragt.
Aufwiderstand on Social Media