Immer wieder taucht in der österreichischen Linken ebenso wie in der Sozialdemokratie die Forderung auf, dass wir populistischer sein müssen, um der Rechten etwas entgegenhalten zu müssen. Als Beispiel führen jene, die das fordern, dabei oftmals die spanische Podemos an. Nicht nur diese Debatte, sondern die Forderung selbst ist ein Vollholler.
Populismus ist Idealismus
Die AnhängerInnen eines linken Populismus zitieren als theoretische BegründerInnen ihrer Ideen oft den argentinischen Intellektuellen Ernesto Laclau und die belgische Politikwissenschafterin Chantal Mouffe, die über viele Jahre gemeinsam gearbeitet haben, an. Ihre Theorien basieren im Wesentlichen darauf, dass nicht die materiellen Lebensbedingungen, das Sein des Individuums in Gesellschaft und Ökonomie sein/ihr Bewusstsein, seine/ihre politischen Ideen bestimmen.
Tatsächlich ist es genau umgekehrt: In letzter Konsequenz bestimmen die Produktionsweise einer Gesellschaft (in unserem Fall also der Kapitalismus), die allgemeine Entwicklung der Gesellschaft das politische Denken und auch das politische System. Nicht Ideen machen Geschichte, sondern die Entwicklung der Wirtschaft und der Gesellschaft bestimmen die herrschenden Ideen.
Die Geschichte der Menschheit entwickelt sich folglich in einem langwierigen Vor und Zurück durch Krisen und Revolutionen immer weiter, da die alten herrschenden Umstände schwächer und die neuen stärker werden. Laclau und Mouffe stellen diesen historischen Prozess auf den Kopf. Sie gehen davon aus, dass das politische Leben nicht nur die Entwicklung der Wirtschaft, sondern gleich die grundlegende Richtung der historischen Prozesse bestimmt. Ja, sie sprechen sogar von einer Autonomie des Politischen, als ob Politik unabhängig von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen agieren könnte.
Damit stehen sie in radikalem Widerspruch zur gesamten Menschheitsgeschichte. Wenn wir diese genauer betrachten, können wir erkennen, dass neue politische Ideen und Systeme immer auf den Überresten früherer sozioökonomischer System aufgebaut werden.
So war die neolithische Revolution nur auf Basis der Entwicklung von Viehzucht und Ackerbau möglich. Das Christentum konnten sich nur wegen des Niedergangs des römischen Imperiums und der SklavInnenhalterInnengesellschaft entwickeln. Liberalismus, Humanismus und Protestantismus entstanden infolge der Krise des Feudalismus, was schließlich die Herrschaft der Bourgeoise, also den Kapitalismus, ermöglichte. Mit der industriellen Revolution ist eine neue dominante Klasse in der Gesellschaft entstanden – die ArbeiterInnenklasse. Allerdings hat diese es bis heute nicht geschafft, die Gesellschaft in ihrem Sinn zu gestalten, obwohl es nicht wenige (bisher letztendlich allerdings allesamt erfolglose) Versuche dazu gegeben hat.
In letzter Konsequenz begrenzen also die wirtschaftliche und technische Entwicklung einer Gesellschaft die Entwicklung der Ideen, die ihrerseits wieder auf die politischen Entwicklungen zurückwirken. Das menschliche Bewusstsein ist vermittelt über zahlreiche Prozesse ein Produkt des Seins und kann sich nicht von diesem unabhängig entwickeln.
Diskurs
Laclau und Mouffe gehen davon aus, dass die Realität vor allem im Diskurs, in der Auseinandersetzung von Gedanken entsteht. Kein Wunder also, dass ihre idealistischen AnhängerInnen immer wieder eine „neue große Erzählung“, ein „neues Narrativ“ einfordern. Sie sind der Meinung, dass wir mit dem, was wir sagen, die Welt verändern können, wenn es nur gut genug ist, um in den Köpfen der Menschen anzukommen.
Sie meinen wie schon Hegel: Ohne Bewusstsein, ohne Idee kein Sein. Wie sollte dann aber etwas existieren, wenn es nicht schon in den Köpfen der Menschen ist? Atome z.B. sind der Grundbaustein von allem, auch wenn diese während mehr als 99% der Menschheitsgeschichte nicht bekannt waren.
Tatsächlich wärmen sie damit nur alten Kaffee erneut auf. Schon der Existenzialismus eines Sartre oder Kierkegaard ist davon ausgegangen, dass der Mensch wie ein „leeres Blatt Papier in die Welt geworfen wird“ und sich selbst beschreiben kann. Warum aber haben dann nicht alle Menschen die gleichen Chancen? Warum sind die Kinder von Reichen bei praktisch allem im Vorteil? Wenn wirklich das Individuum sein Leben ohne Vorbedingungen bestimmen könnte, müsste sich die ererbte Ungleichheit irgendwann ausgleichen. Und, was noch viel bedeutender ist: Sie stellen damit in letzter Konsequenz das Individuum über das Kollektiv. Nach ihrer Logik wären es demnach Einzelpersonen, die die Geschichte machen, und nicht Klassen.
Sie ignorieren damit die Klasseninteressen, egal ob es sich dabei um die der herrschenden Klasse, die momentan unserer Regierung alles diktiert, oder die der arbeitenden Menschen handelt, deren politisch bewusste Teile offensichtlich so ziemlich alles ablehnen, was von dieser Regierung kommt. Konsequenterweise müssten diese „neuen Erzählungen“ so breit angelegt sein, dass dabei die Interessen der arbeitenden Menschen Themen untergeordnet werden, die auch für andere Klassen akzeptabel sind, um politische Veränderungen herbeiführen zu können.
Nehmen wir als Beispiel den Begriff Demokratie. Für einen Superreichen bedeutet diese einen starken Staat, der seine Interessen vertritt, ohne sich in seine Angelegenheiten einzumischen. Für uns arbeitende Menschen hingegen bedeutet Demokratie, dass wir unser eigenes Schicksal als Klasse selbst in die Hände nehmen können, dass wir unsere Ausbeutung beenden und ein gutes Leben für alle ermöglichen.
Die Theorie von Laclau und Mouffe ignoriert damit auch, dass sich das politische Bewusstsein enorm rasch ändern kann. Sehen wir nur nach Österreich: Während Solidarität mit Flüchtlingen 2015 für die große Mehrzahl der Bevölkerung eine Selbstverständlichkeit war, sind nur zwei Jahre vergangen, bis die „Flüchtlingsflut“ zum Hauptgrund wurde, eine erzreaktionäre Regierung an die Macht zu wählen.
Die Massen testen immer wieder die dominierenden politischen Ideen, überprüfen, ob diese ihnen etwas bringen oder nicht, sodass Veränderungen im politischen Bewusstsein innerhalb kürzester Zeit vor sich gehen können, völlig ohne „neue große Erzählung“, sondern einzig auf Basis ihrer materiellen Auswirkungen auf das eigene Leben. Sind diese negativ, öffnet sich ihr Bewusstsein für neue Ideen.
Wer Ideen in den Mittelpunkt der historischen Entwicklung stellt und diese von der gesellschaftlichen bzw. wirtschaftlichen Entwicklung loslöst, wird notwendigerweise auch keine ernsthafte Analyse der aktuellen Gesellschaft liefern können. Dabei ist es offensichtlich, dass es der Kapitalismus ist, der für Sozialabbau, Rassismus, Hunger, Prekarisierung, die Zukunftslosigkeit der Jugend, Ungleichheit, Kriege, Fundamentalismus, die Zerstörung der Umwelt usw., also eigentlich alle wesentlichen Probleme unserer Zeit, verantwortlich ist. Nach Jahrzehnten der neoliberalen Propaganda in Massenmedien und Wissenschaft, ist dieses früher weit verbreitete Wissen allerdings von anderen Ideen überlagert.
Im Kapitalismus finden wir auch die wahre Ursache für die Notwendigkeit einer schwarzblauen Regierung in Österreich. Nach der Überproduktionskrise, die 2007/8 ihren Ausgang genommen hat, ist es dem Kapital bis heute nicht gelungen, die Profitrate wieder auf das Vorkrisenniveau anzuheben. Also musste eine Regierung her, die von der Arbeitszeit bis zur Sozialversicherung die Bedingungen für das Kapital verbessert.
ArbeiterInnenklasse
Immer wieder hören wir, dass dieser Begriff überkommen, nicht mehr zeitgemäß ist. Dass gerade Angestellte sich nicht als ArbeiterInnen sehen wollen. Doch wo ist tatsächlich der Unterschied? Der liegt in einigen wenigen sozialversicherungsrechtlichen Aspekten. Tatsächlich müssen ArbeiterInnen und Angestellte arbeiten, um leben zu können. Im Gegensatz zu den Reichen können sie nicht von ihrem Geld leben. Der Klassenbegriff leitet sich genau von diesem Unterschied ab. Von der Arbeit, die erforderlich ist, um in der Gesellschaft bestehen zu können, nicht aber vom sozialversicherungsrechtlichen Status. Wer diesen Klassenbegriff ablehnt, spielt unseren GegnerInnen offen in die Hand.
Und genau das machen auch die ‚linken‘ PopulistInnen. Sie gehen davon aus, dass die ArbeiterInnenklasse viel zu fragmentiert ist, um als großes Gemeinsames agieren zu können, während sie dabei die zentrale Gemeinsamkeit des Arbeiten-Müssens übersehen.
Es ist dieses große Gemeinsamkeit, die in letzter Konsequenz alle Spaltungen und Unterschiede in der Klasse überwinden kann: Geschlecht, Nationalität, Religion, sexuelle Orientierung, Ausbildung, Stundenausmaß, soziale Absicherung, Form des Anstellungsverhältnisses, Anstellungsdauer, … Notwendigerweise hat auch die wirtschaftliche Entwicklung ihre Auswirkungen auf die Fragmentierung der ArbeiterInnenklasse, so dass es immer wieder Momente geben kann – so wie gerade heute in weiten Teilen Europas, in denen große Teile der Klasse unter den ideologischen Einfluss der Bourgeoisie geraten. In Österreich glasklar zu sehen bei der letzten Nationalratswahl.
Spätestens beim nächsten großen Klassenkampf (z.B. rund um die Arbeitszeit, wenn denn ein solcher kommt …) oder in der nächsten Krise besteht aufgrund der Veränderung der Lebensbedingungen die Möglichkeit, dass sich diese ideologische Dominanz auflöst wie eine Schneeflocke in der Sauna. Und dann wird wie bei jeder gesellschaftlichen Klasse eine relativ schnelle politische Vereinheitlichung und ein gemeinsames solidarisches Handeln eine Option unter mehreren.
Im Gegensatz zu jenen, welche die Teile der ArbeiterInnenklasse, die SchwarzBlau gewählt haben, für dumm, ungebildet oder rückständig halten, erkennen wir darin eine zunehmende Polarisierung zwischen den Interessen der Klassen und eine Reaktion auf das Versagen der letzten Regierungen, die Lebensbedingungen der arbeitenden Menschen zu verbessern oder gar nur eine Verschlechterung zu verhindern. Sobald diese Teile der Klasse erkannt haben, dass diese Regierung ihnen keinen Ausweg aus der Misere bietet, kann sich ihr politisches Bewusstsein innerhalb kürzester Zeit auch wieder in die andere Richtung ändern.
Wenn dieser Veränderung des Bewusstseins auch kollektive Handlungen folgen, könnte SchwarzBlau ganz schnell Geschichte sein. Und wenn wir uns bewusst machen, dass die österreichische ArbeiterInnenklasse, sobald sie einmal ernsthaft in Aktion tritt, wie etwa in den Jahren 1918/19 und 1945, gleich enorm weit geht, könnte das auch gleich das Ende des gegenwärtigen Gesellschaftsmodells bedeuten, womit es möglich würde, damit zu beginnen, eine Gesellschaft aufzubauen, die ein menschenwürdiges Leben für alle bietet.
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