Wofür steht die SPÖ? Eine Alternative zu Türkis-Blau oder Blau-Türkis?

Die Zeichen stehen auf Türkis-Blau oder bald schon Blau-Türkis. Die Koalition in Niederösterreich ist erst der Anfang. ÖVP-Klubchef August Wöginger schloss am 14. März im ORF-Report auch auf Bundesebene eine Koalition mit der FPÖ unter Parteichef Herbert Kickl nicht mehr aus und hob sein Bemühen um eine korrekte Zusammenarbeit mit ihm hervor.[1] Und wo und wofür steht die SPÖ? Die nächste Runde in der Debatte um Parteivorsitz und Bundesgeschäftsführung lässt Sachthemen weiter in den Hintergrund treten. Die Sorge vor Armutsbedrohung und Wohnungsverlust quält immer mehr Menschen. Und die SPÖ ist mit sich selbst beschäftigt!

Wohnbau im roten Wien

Wohnbau im roten Wien toll – heute grau wie die Sozialdemokratie selbst

Wofür steht die SPÖ? Wenn in einer Pause der Personaldebatten doch einmal appelliert wird, die „Sorgen der Menschen“ ernst zu nehmen, werden angesichts von wachsender Inflation und dramatisch gestiegenen Energie- und Lebenserhaltungskosten als Lösungsvorschläge – ganz im neoliberalen Stil – allgemeine Steuersenkungen oder Preisdeckel gefordert. Von solchen Maßnahmen profitieren Reiche und Arme gleichermaßen. Sie vertiefen damit den Graben der sozialen Ungleichheit, der in Österreich zunehmend zur Schlucht wird. Forderungen nach Vermögenssteuern, der Besteuerung von Unternehmensgewinnen und einem ökologisch orientierten  Steuersystem sind so unkonkret, oder werden so abgeschwächt, dass nicht viel mehr als Lippenbekenntnisse bleiben.

Dafür fordert nun auch die SPÖ, von den Ärmsten zu nehmen! Die SPÖ-Oberösterreich fordert, gemeinsam mit ÖVP und FPÖ, wie zuvor bereits Hans-Peter Doskozil, dass Asylwerber*innen zukünftig keinen Klimabonus mehr erhalten sollen.[2] Ein genauerer Blick auf den vom SPÖ-Bundesparteitag beschlossenen Maßnahmen-Plan für die Bereiche Flucht, Asyl, Migration und Integration zeigt, dass Solidarität auch in der SPÖ auf Bundesebene zu einem Lippenbekenntnis geworden ist.

Angesichts von jährlich tausenden Toten im Mittelmeer und durch  die Europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex oder durch Nationalstaaten forcierter Gewalt an den EU-Außengrenzen fordert der von einer SPÖ-Arbeitsgruppe rund um Hans Peter Doskozil und Peter Kaiser 2018 erarbeitete Maßnahmen-Plan u.a. die „Etablierung von Verfahrenszentren an den EU-Außengrenzen und Stopp der unkontrollierten Migration durch Schaffung von legalen Fluchtmöglichkeiten in UNHCR- konformen Verfahrenszentren nahe den Herkunftsregionen.“[3] Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR in Wien sieht bei diesen Plänen „mehr Fragezeichen als Antworten. Welches Land will solche Zentren, welcher EU-Staat nimmt in der Folge wie viele Asylberechtigte auf, was soll mit abgelehnten Asylwerbenden geschehen?“, wie eine Sprecherin betont.[4]

Nach der SPÖ-Präsidiumsklausur in Klagenfurt Anfang Jänner 2023 wurde dieser Kurs weiter verschärft. Parteivorsitzende Rendi-Wagner forderte, „wir müssen irreguläre Migration reduzieren, wir müssen sie verhindern“. Als „einzig vernünftige Lösung“ plädierte sie für Asylverfahren gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention außerhalb der Europäischen Union.[5] Mit einem ähnlichen Vorschlag unter Berufung auf das von der dänischen Regierung unter sogenannt sozialdemokratischer Führung angestrebte Modell, Asylverfahren nach Ruanda und in andere Staaten auszulagern, war im Sommer 2022 bereits Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hervorgetreten. Auch Hans Peter Doskozil hat bereits Sympathien für das dänische Modell geäußert.[6]

Wofür steht die SPÖ? „Irreguläre Migration“ wird zunehmend zu einem Kampfbegriff, um flüchtenden Menschen ihre in Europa garantierten Rechte abzusprechen. Was soll „irreguläre Migration“ sein? Migration und Flucht sind Teil der Geschichte, seit es Menschen gibt. Niemand begibt sich ohne größte Not auf lebensbedrohliche Fluchtrouten. Es ist erst einige Jahrzehnte her, dass im Nationalsozialismus als Jüd*innen oder Roma und Sinti Verfolgte, Kommunist*innen, Revolutionäre Sozialist*ìnnen, exponierte Sozialdemokrat*innen u.a. zur Flucht gezwungen waren, sofern sie einen Weg in die rettende Emigration finden konnten. Auch damals hatte die Welt ihre Grenzen für die zur Flucht Gezwungenen zunehmend verschlossen. Die Konferenz von Evian 1938 ist eine bleibende historische Schande.[7] Zuvor waren Revolutionäre Sozialist*innen, Kommunist*innen u.a. bereits im Austrofaschismus vor der Frage illegaler Untergrundtätigkeit oder Emigration gestanden. Ebenso sahen sich schon damals prominente Sozialdemokrat*innen zur Emigration gezwungen. Es ist beschämend, wenn auch die SPÖ flüchtenden Menschen ihre Rechte abspricht!

 Der Menschenrechtsexperte Manfred Nowak hat kürzlich ganz klar gestellt, dass Asylverfahren außerhalb der EU dem Flüchtlingsrecht der EU widersprechen: „Gemäß der Asylverfahrensrichtlinie 2013 haben alle Personen, die in einem Mitgliedsland der EU, an der Grenze, in Hoheitsgewässern oder Transitzonen um internationalen Schutz vor Verfolgung (also um Asyl gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention oder um subsidiären Schutz) ansuchen, das Recht auf Aufenthalt in diesem Staat bis die Asylbehörde zumindest in erster Instanz über diesen Antrag entschieden hat. Falls diese Person vorher in einem anderen EU-Staat war, kann sie gemäß der Dublin-Verordnung in diesen EU-Staat abgeschoben werden, aber keineswegs in ein Land außerhalb der EU. Falls nicht, dann hat sie das Recht auf Aufenthalt bis zur Entscheidung über den Asylantrag.“[8]

Die SPÖ hat mit ihren Forderungen zu Asyl und Migration nicht nur endgültig ihre ehernen Grundwerte und das Prinzip der Solidarität verraten, sie hat auch den Boden des Europäischen Rechts und der Menschenrechte verlassen. Keine Parteivorsitzende, kein Parteivorsitzender wird die SPÖ retten, wenn die Partei nicht aus sich heraus einen grundlegenden Erneuerungsprozess beginnt und in ihrer politischen Praxis zu ihren Grundwerten, zur Solidarität, zu den Menschenrechten und zum Europäischen Recht zurück findet.

Es ist fast schon eine unendlich traurige Pointe der Geschichte, dass sich am 26. Jänner 2023 auch der Deutsche Bundestag mit der SPÖ-Forderung auseinandersetzte, die „irreguläre Migration mit Asylzentren außerhalb der EU nachhaltig unter Kontrolle [zu] bringen“. Der entsprechende Antrag wurde dort allerdings nicht von der SPD, sondern von der rechtsextremen AfD (Alternative für Deutschland) eingebracht. Ausnahmslos alle anderen Parteien, auch die CDU/CSU Fraktion, sprachen sich gegen diese Forderung aus.[9] Der Kontrast zwischen der online zugänglichen Debatte im Deutschen Bundestag und den Diskussionen in der SPÖ und in Österreich ist erschütternd.

Die SPÖ muss sich entscheiden, ob sie zu einer österreichischen „AfÖ“ werden möchte, oder zu einer aufrichtigen und glaubwürdigen Alternative zu Türkis-Blau oder Blau-Türkis in Österreich! Alle Konzessionen gegenüber Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus haben unserer Partei nur geschadet und den Weg von einer 40+ zu einer 20-Prozent-Partei begleitet. Erst wenn sozialdemokratisch sein auch wieder glaubwürdig für Solidarität steht, kann unsere Partei ihren historischen Auftrag angesichts von stetig wachsender sozialer und ökologischer Not und der Klimakatastrophe für die Gegenwart und die Zukunft erfolgreich fortführen. Es braucht uns mehr denn je!

[1] https://kurier.at/politik/inland/woeginger-oevp-will-mit-nehammer-bei-der-naechsten-wahl-gewinnen/402364524 (letzter Zugriff 18.03.2023).

[2] https://ooe.orf.at/stories/3198032/ (letzter Zugriff 18.03.2023).

https://www.krone.at/2803020 (letzter Zugriff 18.03.2023).

[3] https://www.spoe.at/2022/11/23/spoe-hat-klaren-massnahmen-plan-zu-asyl-und-migration/ (letzter Zugriff 18.03.2023).

[4] https://www.derstandard.at/story/2000141337555/doskozil-gegen-rendi-wagner-wie-restriktiv-ist-die-spoe-jetzt (letzter Zugriff 18.03.2023).

[5] https://www.krone.at/2897122 (letzter Zugriff 18.03.2023).

[6] https://www.derstandard.at/story/2000142337693/spoe-klausur-neue-strenge-bei-migration-und-ein-anwesender-abwesender (letzter Zugriff 18.03.2023).

[7] https://www.erinnern.at/themen/e_bibliothek/miscellen/80-jahre-evian-konferenz.-eine-verpasste-chance (letzter Zugriff 18.03.2023).

[8] https://www.sosmitmensch.at/asylzentren-ausserhalb-der-eu (letzter Zugriff 18.03.2023).

[9] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw04-de-asylzentren-930070 (letzter Zugriff 18.03.2023).

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  1. […] Sie benützen, ebenso wie blaue und türkise Politiker*innen, ebenso wie andere europäische Politiker*innen, „Geflüchtete als Verhandlungsmasse“ (Judith Kohlenberger).13 Pamela Rendi-Wagner hat ihre dahingehenden Argumentation im Jänner 2023 weiter verschärft, indem sie den rechten und rechtsextremen Diskurs von der „irregulären Migration“ im Blick auf flüchtende und asylsuchende Menschen übernahm und forderte, „wir müssen irreguläre Migration reduzieren, wir müssen sie verhindern.“14 Siehe dazu „Wofür steht die SPÖ? Eine Alternative zu Türkis-Blau oder Blau-Türkis?“15 […]

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